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Mission und Globalisierung

Artikel in der Zeitschrift „Die Gemeinde“ 19/2004, S. 10-11

Kritische Fragen – 100 Jahre nach Edinburgh!

Nahezu 100 Jahre sind seit der ersten Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 vergangen. Damals hieß das erklärte Hoffnungsziel: „Evangelisierung der Welt in dieser Generation“ (John R. Mott). Heute fragen wir uns: Sind wir diesem Ziel näher gekommen? Ist es leichter oder schwerer geworden, unsere Welt unter den Bedingungen der Globalisierung mit dem Evangelium zu erreichen? Was hat sich verändert in den letzten Jahrzehnten hinsichtlich der Weltmission?

Bedingungen der Globalisierung

Im Jahr 2004 leben ca. 6,4 Milliarden Menschen auf unserer Erde. Dazu einige erschütternde Daten und Fakten:

- die Hälfte aller Menschen lebt in bitterer Armut mit weniger als 2 Euro am Tag;
- mehr als 800 Millionen Menschen leiden an Hunger und Mangelernährung;
- nahezu 50 % der Weltbevölkerung lebt in Städten (wie z.B. in Sao Paulo in Brasilien mit ca. 16 Millionen Einwohnern), viele davon in Elendsquartieren und Slums;
- etwa 27 Millionen Menschen werden als „Arbeitssklaven“ gehalten;
- in 152 Ländern gibt es Verletzungen der Menschenrechte
(jeweils aktuelle Zahlen der Vereinten Nationen: www.un.org/popin).

Wir wissen: Gott liebt jeden der heute lebenden 6,4 Milliarden Menschen. Jeder soll von Gottes Liebe in Jesus Christus hören können. Eine nach wie vor große Herausforderung angesichts dieser Zahlen:

- 2 Milliarden Menschen gehören zu christlichen Kirchen;
- 1,2 Milliarden sind Anhänger des Islam,
- 790 Millionen sind Hindus,
- 360 Millionen Buddhisten,
- 102 Millionen gehören „neuen Religionen“ an und
- 774 Millionen bezeichnen sich selbst als „nicht religiös“ bzw. als Atheisten.
(nach David Barrett; aktuelle Zahlen: www.religiontoday.com).

Gottes Mission als Bewegung der Liebe Gottes

Der Auftrag Gottes an die Menschen, sich zu vermehren und sich die Erde untertan zu machen (1. Mose 1,28; hier wörtlich: „zu pflegen“), steht unter dem Segen Gottes. Dies gilt auch für unsere Zeit. Dabei kommt es entscheidend darauf an, wie wir diesen Auftrag Gottes verstehen und umsetzen: nämlich nicht so, dass wir die Erde ausplündern, sondern so, dass wir die uns anvertraute Schöpfung Gottes pflegen und gestalten wie ein guter Gärtner.

Wir leben heute in einer Zeit, in der wir viele Entwicklungen weltweit wahrnehmen und (mit)gestalten können. Dies betrifft alle möglichen Bereiche der „Globalisierung“: das starke Anwachsen der Bevölkerungszahl, die weltweit vernetzte Kommunikation (Internet), die global organisierte Wirtschaft, weltweite Sicherheitsprobleme (internationaler Terrorismus), multikulturelle und multireligiöse Bewegungen sowie auch weltweite Perspektiven für die Erfüllung des christlichen Missionsauftrags.

In dieser Weise ist die moderne „Globalisierung“ ein unumkehrbarer Prozess, der in seiner Bedeutung in etwa dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, bzw. der Wende von der landwirtschaftlichen zur industriellen Gesellschaft vergleichbar ist. Es gibt kein „Zurück“ mehr zu national bzw. regional abgrenzbaren Entwicklungen und Bewegungen. Wir müssen uns einstellen auf einen globalen Markt, eine globale Technologie und auch auf ein gemeinsames globales „Missionsfeld“.

„Gottes Mission“, die Bewegung der Liebe Gottes in Jesus Christus hin zu den bisher vom Evangelium unerreichten Menschen, vollzieht sich heute jedoch in anderer Art und Weise als vor etwa 100 Jahren. Früher war alles klar geregelt: es gab das „christliche Abendland“, die „weißen Kirchen“ sandten Missionare aus zu den „schwarzen Heiden“, die „zivilisierte Welt“ exportierte ihre Kultur, ihre Wirtschaft und in diesem Zusammenhang dann auch „ihr Evangelium“. Diese einseitige Art von „Weltmission“ hat ihre Zeit gehabt.

Heute lebt der größere Teil der weltweiten Christenheit in den Ländern des armen Südens (in Afrika, Lateinamerika und Asien). Viele dieser Länder brauchen zwar nach wie vor unsere Hilfe im Hinblick auf Armutsbekämpfung, Gesundheitsfürsorge und auch auf die theologische Unterweisung. Sie sind aber längst nicht mehr nur Empfänger, sondern wollen darüber hinaus als Partner in der „Mission Gottes“ ernstgenommen werden. Partnerschaft in der Mission – dies kann in verschiedener Hinsicht gelebt werden:

- durch gemeinsame Planung und Gestaltung von Missionsaktivitäten;
- durch Beteiligung der „Kirchen des Südens“ an den Entscheidungsprozessen von Kirchen und Missionsgesellschaften in Europa und Amerika;
- durch Entsendung und Aufnahme von „schwarzen Missionaren“ in Gemeindeaufbau und Missionsprojekten in Deutschland („reverse mission“);
- durch finanzielle und ideelle Unterstützung der „reichen Kirchen“ Europas und Amerikas für Missionare aus den armen Ländern des Südens, die in einen diakonischen oder evangelistischen Dienst in vom Evangelium bisher kaum oder gar nicht erreichte Gebiete unserer Erde entsandt werden (Missionsstrategie des Baptistischen Weltbundes).

Think global, act local

„Think global, act local“ (Global denken, lokal handeln) – dieser Leitsatz aus dem Bereich der Politik und Wirtschaft kann auch für Christen eine Hilfe zur Orientierung sein.

Die Entwicklungen und Probleme müssen wir heute auf einer globalen, weltweiten Ebene verstehen und begreifen lernen. Dann aber wird es darauf ankommen, dass wir konkret auf der lokalen Ebene unserer Gemeinde, unserer Schule, unserer Stadt die Herausforderung der „Mission Gottes“ für uns annehmen. Dies kann geschehen und geschieht durch z.B.:

- Benefizkonzerte von Schulen in Deutschland (Pforzheim) für den Wiederaufbau zerstörter Schulen im Bürgerkriegsland Sierra Leone;
- Gemeindedienst eines afrikanischen Pastors in einer deutschen baptistischen Gemeinde (Reinbek bei Hamburg);
- Gemeindeaufbau durch in Deutschland bekehrte zurückkehrende türkische „Gastarbeiter“ in einem islamischen Land (Izmir in der Türkei).

Gott liebt diese Welt, jeden Menschen. Gott will, dass wir weltweit denken und handeln, dass wir seine Schöpfung pflegen und gestalten.

In Jesus bietet Gott jedem Menschen seine Liebe an. Diesen Auftrag der Weltmission sollen wir heute nicht mehr nur für die Menschen in Afrika, Lateinamerika und Asien erfüllen, sondern mit unseren Partnern in den Ländern des Südens.

Es bleiben Fragen

Der Prozess der Globalisierung hält an. Wir befinden uns mitten drin und müssen uns auch im Hinblick auf unseren weltmissionarischen Auftrag fortwährend neu orientieren. Dabei bleiben Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind, auf die wir nur gemeinsam nach Antworten suchen können:

- Welche Ängste und Sorgen einerseits, welche Hoffnungen und Chancen andererseits verbinden wir mit dem Stichwort „Globalisierung“?

- Wie können wir uns in unseren Gemeinden noch intensiver an dem globalen Geschehen der Weltmission beteiligen (durch Informationen, Gebet, Opfer, Einladungen, Besuche)?
- Was können wir von den neubekehrten und oftmals sehr motivierten Christen in den Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens lernen?
- Wie können wir als Christen deutlicher noch als bisher gegen die Ungerechtigkeiten und Bedrohungen im Zusammenhang mit der Globalisierung Stellung beziehen und uns engagiert für die Benachteiligten in den armen Ländern des Südens einsetzen?
- Mission gehört zusammen auch mit Leid, Auseinandersetzungen und Martyrium; im Jahr 2003 mussten ca. 165.000 Christen weltweit für ihren Glauben ihr Leben opfern – was bedeutet dies für unsere Berufung zur Teilhabe an der Weltmission?

Ein neuer Aufbruch – 100 Jahre nach Edinburgh?

„Expect great things from God, attempt great things for God” (Erwarte große Dinge von Gott, unternimm große Dinge für Gott) – dies war der Wahlspruch von William Carey, dem Begründer der neueren protestantischen Missionsbewegung. Könnte dies nicht auch heute für uns ein Wahlspruch sein – auch und gerade in Zeiten der Globalisierung?

Hans Guderian

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