Rudolf Guderian – ein Mann mit Haltung
Ansprache von Prof. Dr. Michael Rohde zur Trauerfeier für Rudolf Guderian in Falkensee am 29. Juni 2013
Lieber Hans, liebe Astrid, liebe Familien Guderian und Pohl, liebe Trauergemeinde!
Heute geben wir Rudolf Guderian ganz in Gottes Hand zurück. Wir geben ihn in die Hände eines Gottes, der wie ein liebender Vater für ihn gesorgt hat – ihn geführt hat und ihn durchgetragen hat – bis zum Ende.
Rudolf Guderian war ein Mann mit Haltung. In seiner zurückhaltenden, aber aufrechten Haltung haben wir ihn erlebt – er hat in seinem hohen Alter auch mich und auch meine Kinder beeindruckt.
Daher: Lasst uns in dieser Stunde des Abschieds von Rudolf Guderian auf zwei Worte der Heiligen Schrift achten, die dazu beigetragen haben, dass er durchs Leben gegangen ist.
Es sind nicht irgendwelche Worte, sondern Worte, die Rudolf Guderian etwas bedeuteten. Sie standen auf einer kleinen Karte, die er in einer Plastikhülle auf seinem Schreibtisch liegen hatte. Es sind also Worte, die er fast täglich vor Augen hatte und die sein Leben prägten.
Der HERR wird dich immerdar führen. (Jesaja 58,11)
Fürchte dich nicht, ich bin mit dir. Weiche nicht, denn ich bin dein Gott. (Jesaja 41,10)
Die Kindheit von Rudolf Guderian war keineswegs unbeschwert. Er wuchs in eher engen und bescheidenen Verhältnissen auf – war als kleines Kind aber wohl fröhlich. Doch bereits im Alter von sechs Jahren musste er die Trennung seiner Eltern miterleben und wuchs zusammen mit seiner älteren Schwester Erna bei seiner Mutter Ella Bertha auf. Sein Großvater wurde ihm zu einer Vaterfigur, seinen leiblichen Vater Karl Gustav wird er erst 40 Jahre später wieder sehen. Im Nachhinein können wir erkennen, dass durch die Lebenskrise seiner Eltern hindurch seine Mutter näher zum Glauben an Gott geführt wurde. Sie ließ sich 1930 auf das Bekenntnis ihres Glaubens hin in der Baptistengemeinde Spandau taufen. Die Gemeinde wurde der Familie zu einer zweiten Heimat. Kurz vor seinem 15. Geburtstag ließ sich auch Rudolf Guderian taufen und war bis an sein Lebensende jeweils der Gemeinde an dem Ort, wo er wohnte, verbunden.
Der HERR wird dich immerdar führen – dieses geflügelte Wort aus dem Propheten Jesaja ist eine Ermutigung, sich Gott anzuvertrauen. Wer sich Gott anvertraut, lässt sich selbst los und überlässt seinen Lebensweg nicht nur seinem Verstand und seinen Zeugnissen, sondern auch Gottes Wegweisungen.
Seinen Schulweg meisterte Rudolf Guderian. Wenn ein Mitschüler ihn als „Schreiberseele“ bezeichnete oder andere ihm den Spitznamen „Professor“ gaben, dann zeichnete sich hier schon früh ab, dass er einen wachen Geist geschenkt bekommen hatte – er war lebenslang ein wacher Zeitgenosse. Und er träumte davon, einmal Parlamentsstenograph zu werden! Mit 18 Jahren hatte er den Kaufmannsgehilfenbrief in der Tasche, aber das nationalsozialistische Deutschland begann einen brutalen Krieg.
Fürchte dich nicht, ich bin mit dir. Weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Diese prophetischen Worte sind ursprünglich Menschen gesagt worden, die deportiert waren – fern der Heimat mussten die Israeliten ihren Glauben an Gott bewahren – obwohl sie Krieg durchleben mussten und ihre bisherigen Glaubenssicherheiten erschüttert waren. Ihnen wird Mut gemacht: Fürchte dich nicht!
Rudolf Guderian wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Die Ereignisse des Krieges haben ihn nachhaltig beschäftigt, er verfasste nach dem Krieg ein umfassendes Tagebuch mit Bildern und Notizen. Er wollte später nicht, dass dies veröffentlicht wird, aber er hat dadurch offensichtlich seine Erlebnisse verarbeitet und dokumentiert.
Die ersten Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Krieg waren noch vergleichsweise harmlos, über den anfänglichen Reichsarbeitsdienst schreibt er: „Statt des Federhalters hatte ich jetzt mit Schaufel und Spaten zu tun.“ Aber es blieb nicht bei Schaufel und Spaten. Als Infanterist musste er auch die Waffe in die Hand nehmen und erlebte Kämpfe in Afrika und Italien.
In dieser Zeit hat Rudolf Guderian mehrfach Bewahrung erlebt. Bei einem dramatischen Schiffsunglück im Krieg hätte er ertrinken können – aber er wurde gerettet. Immer wiederkehrende heftige Erkrankungen durch Parasiten in Afrika befielen ihn, aber er überlebte auch diese tropischen Krankheiten. Als Funker in Italien bekam er einen Bombensplitter ab – aber er wurde nur leicht verwundet. Auch beim Ende des Krieges in Po bei Padua wurde er nicht Opfer der Panzerschlachten, sondern überstand amerikanische und britische Gefangenschaft.
Fürchte dich nicht, ich bin mit dir. Wir wissen, dass viele Menschen Opfer des Krieges geworden sind und besonders Deutsche viel Schuld auf sich geladen haben.
Dankbar können wir erkennen, dass Gott Rudolf Guderian im Krieg bewahrt hat, auch seine Seele, und er mit 26 Jahren ein neues Leben in Berlin beginnen durfte. In seinem Beruf als Kaufmann fand er eine gute Anstellung und konnte viele Jahre lang seine Kompetenzen einsetzen, besonders im Bereich von Übersetzungsarbeiten und Buchführung. Und als junger Mann fand er die Liebe seines Lebens, und heiratete am 14. Februar 1948 Edith Klein. Im Rückblick war das Gottes gute Führung, denn wer konnte ahnen, dass er mit Edith 64 Jahre verheiratet sein wird?!
Der HERR wird dich immerdar führen. Sich Gottes Führung anzuvertrauen, bedeutet sich nicht auf die eigenen Kräfte allein und die eigenen Fähigkeiten allein zu verlassen, sondern nach Gottes Wegen zu fragen. Obwohl Rudolf Guderian bei seinen Eltern miterlebt hatte, dass eine Ehe auch scheitern kann, wagte er die Eheschließung wissend, dass er Familie haben wird. Im Juli 1948 erblickte Hans das Licht der Welt. Ihre Wohnverhältnisse waren im Nachkriegsdeutschland eng und klein, aber sie waren zueinander gestellt und konnten als Hans sechs Jahre alt war in eine etwas größere Wohnung in die Spandauer Wilhelmstadt ziehen. Ihre geistliche Heimat hatten sie in der Spandauer Baptistengemeinde und verbrachten dort viel Zeit, auch beim Singen im Chor und Besuch von Gottesdiensten.
Der HERR wird dich immerdar führen. Führung erleben wir im Glauben an Gott nicht nur in glatten Wegen, es können auch steinige Wege sein. Umso dankbarer war Rudolf Guderian sicherlich für seine berufliche Laufbahn, die ihn zahn Jahre nach seiner Wiederkehr aus dem Krieg zum Auslandskorrespondenten einer großen Maschinenbaufirma machte und später sogar zum Handlungsbevollmächtigten. Und sogar etwas von seinem Traum vom Stenographen wurde wahr, indem er in den 50er Jahren anderen Stenounterricht erteilte. Bis 1984 arbeitete Rudolf Guderian in seiner Firma und ging – nicht ganz freiwillig – in den vorgezogenen Ruhestand.
Der HERR wird dich immerdar führen. Rudolf Guderian musste in manchen Krisen sicherlich sein ganzes Vertrauen darauf setzen, dass Gott ihn führt. Und er musste schon früh Abschied nehmen von seinen engsten Familienangehörigen. 40 Jahre hatte er seinen Vater nicht gesehen, als ihn die Nachricht erreichte, dass er im Sterben liegt und wo er anzutreffen ist. Mit 46 Jahren saß Rudolf Guderian am Sterbebett seines Vaters und musste ihn verabschieden. Mit 52 Jahren musste er Abschied von seiner Schwester Erna nehmen, die 1973 an einer schweren Krankheit verstarb. Wenige Jahre später, 1977, starb auch seine Mutter. Rudolf Guderian war kein Mensch, der durch große Worte viel Aufhebens um seine Frömmigkeit machte, aber diese Erfahrungen haben sicher seinem Glauben Tiefe gegeben – von Gott gehalten zu sein, auch beim Tod.
Der HERR wird dich immerdar führen. Wenn wir im Rückblick auf ein langes Leben schauen, dann macht es einen Unterschied, ob wir im Auf und Ab nur Glück oder Pech sehen, oder eben Gottes Hand erkennen, die geholfen hat.
Der Ruhestand von Edith und Rudolf Guderian war von enger Verbundenheit mit der Familie geprägt, indem sie sich sehr beweglich zeigten und 1984 mit Hans und Astrid nach Augsburg, fünf Jahre später mit nach Bad Homburg und fast zehn Jahre später mit nach Falkensee umzogen. Mir wurde erzählt, dass sie auf angenehme Weise in der Nähe waren, aber nicht aufdringlich. Und auch wunderbare Großeltern. Zur Zeit des Ruhestandes gehörte keineswegs nur Ruhe: Ihr erinnert Euch an zwei Momente, in denen Rudolf Guderian Herzattacken erlebte und sein Leben bedroht war – Gott aber Gnade geschenkt hat.
Das hohe Alter war auch mit wachsenden Einschränkungen verbunden – aber auch mit der Bereitschaft, sich helfen zu lassen. Dankbar für Gottes Wegführung konntet Ihr als Familie sogar das Fest der Goldenen Hochzeit und der Diamantenen Hochzeit feiern! Vom Fest des 60ten Ehejubiläums stammt auch das Foto, das auf unserem Programm für diese Beisetzung abgedruckt ist.
Der HERR wird dich immerdar führen. In der Gemeinde in Falkensee wurde in einem Gottesdienst einmal dazu aufgefordert, dass aus jedem Lebensjahrzehnt ein Mensch nach vorne kommt. So standen neun Menschen vorne – mit 10, 20, 30 … und 90 Jahren. Als Rudolf Guderian da vorne stand und gefragt wurde, was er sich noch wünscht, sagte er: „Dass das Leben auch einmal zu Ende geht.“ Ich denke nicht, dass er lebensmüde war, aber lebenssatt im besten Sinne. Er hatte ein Ziel vor Augen.
Denn wir glauben als Christen, dass mit dem Tod von Rudolf Guderian sein Leben nicht zu Ende ist, sondern vollendet wird. Indem Gott ihn auferstehen lässt zu einem neuen Leben, durch die Auferstehung Jesu Christi, zu einem ewigen Leben bei Gott.
Darauf ausgerichtet können wir heute dankbar zurück denken, wie Gott ihn geführt und getragen hat – und im Spiegel seines Lebens uns selbst seiner Führung anvertrauen. Damit wir getröstet werden und glauben können, was ihn geprägt hat: Der HERR wird dich immerdar führen. Fürchte dich nicht, ich bin mit dir. Weiche nicht, denn ich bin dein Gott.
Amen.
Pastor Dr. Michael Rohde, Professor an der Theologischen Fachhochschule Elstal